Die Anleitung des
„Briefs"
Der Autor der „Wolke des
Nichtwissens" und des „Briefs" möchte seinen Schüler
zielbewusst zu dieser tiefsten Form der Gotteserkenntnis
führen. In der „Wolke" entwickelt er hilfreiche Vorstellungen
mit dem Ziel, alles auszublenden und die gesamte geistige
Kraft dem Sehnen nach Gott zuzuwenden. Der Meditierende soll
allen Ballast an Gedanken, Wahrnehmungen und Erinnerungen
unter die Wolke des Vergessen bringen. Die
Lokalisierung der Wolke als Basis entwickelt bei der
Übung eine große Basisstabilität gleich der Mu-Atmung im Zen,
die alle Kraft im Unterbauch sammelt. Der Kopf steckt in der
Wolke des Nichtwissens, d. h. er verzichtet völlig auf
Nachdenken und Begreifen wollen, sein Bewusstsein wird frei
von eigener Aktivität. Die Lokalisierung der Wolke des
Nichtwissens im oberen Bereich lässt den Übenden sich wie von
selbst innerlich und äußerlich straffen und aufrichten.
Breite Basis und gelöste, aufrechte Haltung sind die besten
körperlichen Voraussetzungen für eine gute
Meditation. Die ganze Kraft der Person sammelt sich im
Herzen, das blind sich nach Gott sehnt, sich nach ihm
aufrichtet, sich ihm öffnet und hinhält. Dabei muss jedes
Gottesbild aufgegeben werden, denn es geht um Gott in seiner
Unfasslichkeit, in seiner Wirklichkeit jenseits aller Gestalt.
Dem Anfänger fällt es meist schwer, sein ganzes Bewusstsein in
dieser schwebenden Aufmerksamkeit zu halten, er rutscht
ab ins Dösen oder Denken. Da kann ihm die Benutzung eines
kurzen Wortes helfen. In dieses Wort, das er wählen
kann nach seinem Empfinden, fasse er sein ganzes Sehnen und
Fühlen, damit er es wie in einem Gefäß halten kann. Störende
Gedanken oder Empfindungen werden nun kraft der
Aufmerksamkeit auf dieses kurze Wort ausgeblendet. Es sei
- in den Worten der „Wolke" - wie ein Schild, die störenden
Gedanken abzuwehren, und wie ein Speer, mit dem man in die
Wolke des Nichtwissens eindringt. Diese Technik berührt
sich sehr eng mit der Weise des ostkirchlichen
Jesusgebete und der indischen Mantra-Meditation. Auch hier
kommt es darauf an, sich auf den Klang des Wortes zu sammeln
und nicht auf das Erfassen des gedanklichen Inhalts. |
Durch die
ständige Wiederholung des kurzen Lautes oder Wortes soll sich
das Bewusstsein bündeln und immer tiefer werden, bis es zu
seiner Wurzel gelangt (vgl. Christa del Cor, Christliche
Meditation).
*** Willst du beten, vergesse
alles, was du getan hast oder vorhast zu tun. Weise alle
Gedanken ab, gleich ob gute oder böse. Gebrauche beim
Beten keine Worte, es sei denn, du fühlst dich innerlich dazu
gedrängt.
Diese von allen Gedanken freie
Aufmerksamkeit, die im Vertrauen verwurzelt und verankert ist,
wird dich von allem Denken und Wahrnehmen befreien und dir nur
das reine Bewusstsein und die dunkle Wahrnehmung deines
eigenen Seins lassen. Dein ganzes Empfinden ist lautere
Sehnsucht nach Gott, die spricht:
Was ich bin, bringe ich dir,
Herr, ohne nach einer deiner Eigenschaften zu fragen, nur
darauf schauend, dass du bist. Nur das verlange ich, sonst
nichts.
Lass tiefe Dunkelheit dein ganzes
Bewusstsein erfüllen und sie wie ein Spiegel sein, in den du
schaust. Ich möchte gern, dass das Bewusstsein deiner selbst
so unmittelbar und einfach sei wie dein Bewusstsein von Gott,
damit du geistig eins mit ihm bist, ohne dass du innerlich
gespalten und zerstreut wirst.
Tue nichts anderes,
sondern ruhe in diesem reinen, einfachen Bewusstsein: Ich
bin. Versuche dich darum in deine innerste Tiefe
einzulassen und erfahre dein wahres Selbst auf diese einfache
grundlegende Weise. Andere meinen das gleiche, wenn sie
entsprechend ihrer Erfahrungsweise vom „Gipfel des
Geistes" sprechen und dieses Erkennen als „höchstes
menschliches Wissen" bezeichnen. Denke also nicht daran,
was du bist, sondern dass du bist.
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