Herbert Fritsche, Sinn
und Geheimnis des Jahreslaufs Göttingen 1983 S.
39 Die
längsten Tage, die kürzesten Nächte
überwandern das Land. Es wird nicht mehr ganz
dunkel des Nachts, der Untergangspunkt der Sonne
hat sich weit vom Westen zum Norden hin
verschoben, vom späten Abend bis zum
Morgengrauen bleibt der Nordhorizont, den als
einsamer Stern die Capella im Fuhrmann
durchfunkelt, Träger eines gläsern klaren oder
eines milchigen Glanzes.
Der Sommer ist
jetzt bei sich selber zu Tisch geladen. Ein
reicher Tisch: alle Wiesen sind übersät mit
Blütensternen oder vom Duft des Heus betäubt,
die Rosen glühen aus den Gärten, und der
Abendweg durch die Hecken, zum sanften Schwung
der Hügel hin, ist eingesäumt von Heckenrosen
und von den im warmen Winde hin- und hergewiegten
weißen, duftenden Doldentellern des Holunders.
Kein noch so kärgliches Winkelchen der Welt
bleibt ohne Blüten, die winzigen weißen
Blütensternchen der Vogelmiere durchschimmern
das zertretene Gras der Wege, auf
knochentrockenem Lehm am Rande des Ackers gedeiht
die kleine schar-lachfarbene Blume Gauchheil, das
gilbende Getreide hat den Boden nicht so leer
gesogen, dass nicht der feuerrote Mohn bunt ins
Land leuchten könnte aus dem Wogengang der
Halme.
Es reift das
Obst, die Kirschen funkeln wie Korallen aus dem
Wipfelgrün, die Zwergenhütchen der
Walderdbeeren grüßen aus dem Gras alles,
was leibt und lebt, prunkt in der Fülle. Aber
zugleich mit dem Sattsein hat sich die Müdigkeit
weit hingebreitet, dumpf muhen die Kühe, träge
taumeln die Falter von Blüte zu Blüte, breit
hockt Pan im Dorngestrüpp der Himbeerhecken und
bläst auf der Syrinx das aus sieben Tönen
gefügte Lied, das die Wehmut des Genügefindens
kennt.
S. 41- 42
Die
geheimnisvolle Johanniszeit mit ihren hellen
Nächten und der berauschenden Dreifaltigkeit der
Sterne droben die des Himmels, über die
Erde hingebreitet die der Blüten, der
Heckenrosen vor allem, und im Raume dazwischen
die schwebenden Gestirne des Glühwürmchenfluges
, sie ist ebenjenem Täufer Johannes
geweiht, der das Wort aussprach im Hinblick auf
Christus: "Jener muss wachsen, ich aber
schwinden".
Indem nun, von
der Höhe des entfalteten Sommers her, die
Rückwanderung zum Dunkel anhebt, die Heimkehr
des Offenbaren ins Verborgene, das
Schwächerwerden des äußeren Lichtes zugunsten
des inneren, geschieht vom Jahreslaufe her
ähnliches wie beim Überschreiten der
Lebensmitte im menschlichen Schicksalslauf. Nicht
ins Sterben wendet sich der Weg, sondern ins
Reifen: die bunte Fülle ist nicht das
Eigentliche : der leuchtende
Weisheitsgewinn, die Heiligung des Wandels über
den Planeten ist das Ziel. So weist Johannes, so
weist die Johanniszeit auf Göttliches hin, um
dessentwillen irdische Daseinsmacht ihren Abbau
erleiden muss. Wenn zur Weihnacht, aus dem
dunkelsten Dunkel, das Fünklein des
Erlösungslichtes geboren werden soll, wenn das
Kind in der Krippe mit der Verkündigung einer
großen Freude gefeiert wird, dann ist es die
Predigt der Johanniszeit, auf rechte Weise die
Kraft zu entfachen, die das Reifen und Welken
erträgt um des inneren Wachstums willen. Die
Heckenrose des Juni ist für den wahrhaft
Wachsamen ausersehen, zur Rosa mystica zu werden,
so wie der Holunder der Baum der Einweihung ist,
der mit den tausend kleinen weißen Pentagrammen
jeder seiner Blütendolden auf den unsterblichen
Menschen hinweist, welcher im Leben den Tod und
im Tode das Leben zu finden und zu fassen weiß
um der Bewährung seiner verborgenen
Gottesebenbildlichkeit willen.
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